Bereits heute, wenige Wochen nachdem Corona unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben grundlegend verändert hat, zeichnet sich ab, dass die Welt nach Corona nicht wieder so sein wird wie vor Corona.
"Aus einer Krise nach Möglichkeit gestärkt hervor gehen." und "Nichts kommt später wirklich so schlimm, wie man es sich im ersten Moment ausmalt." - diese beiden Erfahrungen macht jeder Unternehmer im Laufe seines beruflichen Lebens früher oder später. Zumindest mir ist das so ergangen. Und so stelle ich mir auch aktuell die Frage, ob es da inmitten der Verunsicherung etwas Positives zu entdecken gibt, was uns am Ende von Corona bleibt und worauf wir aufbauen können. Wagen wir einen Blick in die Zukunft und schauen wir zurück:
Damals, nach dem Ende von Corona, haben wir Globalisierung aus einem ganz neuen Blickwinkel gesehen. Plötzlich erschien es nicht mehr jedem ganz normal, dass wichtige Komponenten und Rohstoffe aus dem Bereich medizinischer Grundversorgung um den halben Erdball reisten, bevor wir damit bei uns Krankheiten heilen konnten. Heute wird ein signifikanter Anteil an Antibiotika-Grundstoffen und ähnlichem wieder innerhalb der Europäischen Union hergestellt und verarbeitet. Und was für Arzneimittel galt, dass gilt heute auch wieder für andere Produkte, die unser tägliches Leben am Laufen halten.
"Das brauchen wir nicht, wir sind Maschinenbau und keine IT-Firma." Wie oft haben wir vor Corona diesen Satz von Kunden gehört. Digitalisierung und der Modern Workplace waren Themen, die angesichts voller Auftragsbücher und einem gut geölten Konjunkturmotor vielerorts allenfalls Betrachtung fanden, wenn es hip war, sich im öffentlichkeitswirksamen Licht von Startupmentalitäten zu sonnen. Hinter den Kulissen war digitale Innovation kein wirkliches Bedürfnis und Homeoffice allenfalls ein notwendiges Übel, um Mitarbeiter mit aus den Fugen geratenen Work-Live-Balance-Phantasien den Imageprospekt mit dem Slogan "Ich bin ein cooler Arbeitgeber" entgegen halten zu können. Heute, im Jahr nach der Krise, sind viele Mitarbeiter gar nicht mehr aus ihren damals eilig eingerichteten Homeoffices zurückgekehrt. Arbeitgeber haben gelernt, dass das eigene Zuhause ein produktiver und kreativer Ort sein kann. Beurteilen wir einen Mitarbeiter doch nach seiner Leistung und nicht nach der aktuellen Uhrzeit und seinem Aufenthaltsort. Zahlen wir für den Kopf und nicht für den Hintern! Und nicht zuletzt hat das Homeoffice unsere Straßen nebenbei mehr entlastet als der öffentliche Personennahverkehr. Wie viel produktiver ist doch ein Videocall im Vergleich zu langen Anreisen und dem täglichen Stillstand in der Rushhour. Haben wir das wirklich einmal anders gemacht? Heute kommt das Unternehmen zur Fachkraft und nicht umgekehrt.
Durch geschlossene Schulen und Kitas hat der ein oder andere damals wiederentdeckt, dass er Kinder hatte! Da war plötzlich jemand, der beschäftigt werden wollte, neugierige Fragen stellte und auch tagsüber vielleicht einfach mal kurz gedrückt werden wollte. Nur digitale Bildung kannte damals noch niemand. Bestenfalls vom Hörensagen aus dem australischen Outback. Aber die hatten ja auch schon den Flying Doctor Service und sowieso keine richtigen Straßen. Eilig zusammengezimmerte Unterrichtsplattformen auf Basis von für den Unternehmenseinsatz gedachten Kollaborationsplattformen offenbarten die digitale Abstinenz des Bildungswesens. Heute sind unsere Klassenräume digital enabled, Schüler können Mitschnitte des Präsenz-Unterrichts daheim noch einmal ansehen, falls im Unterricht das Handy des Sitznachbarn doch einmal interessanter war als der pädagogische Vortrag. Anderen ermöglichen zusätzliche Online-Unterrichtsinhalte gezielte Förderung oder wecken den Erfindergeist.
Es gab eine Zeit vor Corona, da bediente man sich im Onlinehandel, weil es billig oder bequem war. Aber eine Zeit, in der es nur noch den Onlinehandel gab, weil plötzlich jeder stationäre Einzelhändler sein Ladenlokal geschlossen halten musste, das hatte es noch nie gegeben. Plötzlich übernahmen Amazon, Otto und Co (und eigentlich jeder Webshop) wichtige Funktionen im Bereich der grundsätzlichen Versorgung. Plötzlich fiel jedem Einzelhändler sein selber zusammengezimmerter Webshop aus dem Zeitalter des Anfangs des Internets wieder ein. Und wie bekam man sein Sortiment jetzt noch einmal bei Amazon gelistet? Und Amazon suchte 100.000 zusätzliche Mitarbeiter. Und Paketboten verzichteten auf Unterschriften, nebenbei bemerkt. Aus den gleichen Gründen, warum Bargeld plötzlich dem kontaktlosen Bezahlen wich. "Ach, sie wollen mit dem Handy zahlen? Ich weiß nicht, ob das bei uns geht." wurde ersetzt durch "Oh schön, sie zahlen mit Apple Pay." So hieß es plötzlich an unserer Brötchentheke. Heute ist das normal. Ja, Bargeld ist ein wichtiges Instrument der Demokratie. Das muss uns erhalten bleiben. Aber an der Brötchentheke habe ich es seit Corona nie wieder vermisst. Und meine Lieblingsgeschäfte aus der Region haben jetzt auch attraktive Onlineshops und ich hole meine Bestellung beim Samstagsbummel durch's Städtchen ab. Hybrid-Shopping endlich überall.
Digital detox - die versuchte zeitweise Abstinenz von Social Media war wenig erfolgreich in der Zeit vor Corona. Nur allzu oft reichte der Blick nicht weiter als eine Armlänge um uns herum. Die Armlänge, in der sich das Smartphone oder der Laptop befand. Als Nebeneffekt von geschäftlichen Videocalls lernten wir, dass eine vergessene Form der Kommunikation, ein echtes Gespräch - und damit meine ich alles, was über einen gegenseitigen Beschuss mit abgehackten Sätzen und Smileys hinausgeht - viel mehr Spaß macht und soziale Bindungen stärkt. Private Telefonate im Freundes- und Bekanntenkreis (plötzlich auch mit Video) erlebten eine nicht für möglich gehaltene Renaissance. Da Eltern und Großeltern ja nicht mehr in persona zu erleben waren, machte auch der ältere Teil der Bevölkerung zaghafte erste Erfahrungen mit moderner Technologie. Und siehe da - sie waren sogar gut darin! Warum hatten wir nicht früher schon räumliche Distanzen mit einem Tablet und Skype überbrückt? Und ein digitaler Bilderrahmen für Oma war es auch gleich noch.
Corona hat aber auch ganze Branchen nachhaltig verändert. Einer der ersten, die unter der eingeschränkten Bewegungsfreiheit extrem gelitten hat, war der Bereich Messen und Ausstellungen. Die Absage des Genfer Automobilsalons, der Luxusuhrenmesse Baselworld, aber auch plötzlich geschlossene Fitness-Studios haben innerhalb kürzester Zeit reagieren müssen. So hat Corona eine Entwicklung extrem beschleunigt, die manch einer eh schon drohend in seinem Nacken gespürt hatte.Viele Messebauer von einst sind heute gut im Geschäft mit digital ausgerichteten Messen und dem Streaming von Live-Ereignissen. "Digitalisierung passt bei uns nicht, wir sind Messebauer." haben wir oft gehört. Warum auf eine Messe warten, wenn das neue Produkt doch schon jetzt fertig gestellt ist und die Vermarktung sofort beginnen könnte? Unser Fitness-Studio hat damals innerhalb kürzester Zeit auf Kurse und Personal Training per Livestream umgeschaltet. Und ist bis heute bei diesem Format geblieben. Als Ergänzung für diejenigen, die nicht im Studio trainieren können oder möchten. Warum, sagten Sie noch gleich, gab es das nicht schon vor Corona überall?
Beenden wir unseren fantasievollen Rückblick an dieser Stelle. Krise ist auch immer Chance. Und eine Krise wie die aktuelle hat das Potential Wandel und Fortschritt mit forciertem Tempo über zuvor unüberwindliche Bedenken und tradierte Widerstände hinweg zu hieven.
Packen wir es an. Damit wir bald wieder gemeinsam im Cafe an der Sonne fachsimpeln und philosophieren können. Schon Schopenhauer sagte "Meist belehrt erst der Verlust über den Wert der Dinge."
Ihr Thomas Honemeyer